Bei mir ging es 2024 vor allem um das Thema „Für mich selber einstehen – Grenzen setzen“. Ich habe mich die letzten Jahren so sehr von meinem Glaubenssatz „Was sollen die anderen denken“ kontrollieren lassen, dass ich mir allzu häufig bei Entscheidungen selber im Weg stand. Ich brauchte für mich erst einmal eine Klarheit was ich will und was nicht, um besser Nein sagen zu können. Wenn ich die ersten Male versucht habe, nein zu sagen, dann geriet ich sofort in die Rechtfertigung und hatte das Gefühl es dem anderen gegenüber stichhaltig begründen zu müssen. Inzwischen passiert mir das seltener oder ich erwische mich währenddessen und halte dann kurz inne. Nach eine kurzen Pause sage ich dann, überzeugt und klar „Nein, ich möchte das nicht – Punkt.“ Doch der Weg dahin war steinig und daher möchte ich Dir gerne nachfolgend von meiner einschlägigen Erfahrung berichten.
Ich hatte letztes Jahr im März ein super tolles Seminar zum Thema „Gesprächsführung“. Es gab viele Inhalte zu klassischen Kommunikationsmethoden und Modellen wie Feedbackregeln, vier Seiten einer Nachricht nach Schulz von Thun, aber vor allem eine Einheit ist mir in Erinnerung geblieben: „Grenzen setzen“. Ich persönlich behaupte von mir, dass ich die Feedbackregeln nachts um drei im Schlaf aufsagen kann und bin damit bisher auch an vielen Stellen gut gefahren. ABER ich kannte den Unterschied zu „Grenzen setzen“ nicht. Ich habe bis dahin immer versucht sehr wertschätzend meinen Mitmenschen gegenüber zu formulieren, wie ich eine Situation wahrgenommen habe, wie es auf mich gewirkt hat, wie ich mich gefühlt habe und habe dann meinen Wunsch sehr wohlwollend formuliert. Tja, wäre da nicht die goldene Regel, dass der Feedbackempfänger entscheiden darf, was er damit anfängt. Ich habe schlicht weg nie so richtig in Betracht gezogen, dass es Situationen oder Verhalten gibt, welche ich mir nicht gefallen lassen muss. Und in genau diesen Situationen brauche ich ein völlig anderes Werkzeug als Feedback. Denn bei Feedback versuche ich ja eine andere Person auf ihren blinden Fleck aufmerksam zu machen und ihr zu spiegeln, wie sie auf andere wirkt. Anders ist es, wenn jemand sich mir gegenüber falsch verhält und meine Grenze überschreitet. Es brauchte 2-3 Übungen in der Gruppe, bis bei mir der Groschen fiel und ich kann sagen, der Aufprall war sehr laut 😄 In der ersten Übung standen mir 3 Seminarteilnehmer gegenüber an der anderen Seite des Raums. Ich sollte mir eine gedachte Grenze im Raum überlegen und ihnen klar machen, bis wohin sie auf mich zukommen dürfen. Sagen wir mal so: Sie sind bis zu mir rüber gekommen, weil ich dachte meine Körpersprache wäre aussagekräftig genug, um ihnen zu zeigen, bis wohin es in Ordnung ist. Feedback 1 war: „Yvonne, du hast so freundlich gelächelt, ich dachte ich dürfte dich auch noch in den Arm nehmen.“ Meine Grenze wäre 1-2 Meter Abstand gewesen. Feedback 2: „Warum hast du nichts gesagt. Wir hätten das doch respektiert.“ 🤯 Wie, ich hätte was sagen können?!?!?!?! Ich weiß gar nicht, wie oft ich in der Vergangenheit nichts gesagt habe, obwohl ich mich unwohlgefühlt habe.
In der zweiten Übung wurden mir in einer Gesprächssimulation sehr unsachliche Vorwürfe gemacht, auf die ich versucht hatte, mit einer entsprechenden Rechtfertigung oder einem Kontra einzugehen. Mein Gegenüber nahm die Übung sehr ernst und ließ nicht locker. Irgendwann sprach mich die Trainerin an und fragte: „Yvonne, wieso stehst du nicht auf und gehst?“ „Wie, ich darf aufstehen und gehen?!?!?!?!“ 🤨
Woran erkenne ich eigentlich, dass meine Grenze gerade überschritten wird?
Dafür habe ich die letzten Monate ein Gespür entwickelt. Es hat etwas gedauert, aber mein Körper und Geist geben mir ziemlich klare Signale. Und ganz wesentlich: Ich brauche selber eine Klarheit darüber, wo meine Grenzen sind. Diese Klarheit ist entscheidend, um meine Grenzen verteidigen zu können, Entscheidungen zu treffen und mich selbst zu schützen. Ich habe die STOP-Regel als hilfreiche Methode kennengelernt.
1. Step back: innehalten, Grenzüberschreitung wahrnehmen
2. Think: nachdenken – was ist passiert/was stört mich?
3. Options: Handlungsoptionen betrachten
4. Proceed: Entscheidung treffen, wie ich weiter vorgehen möchte
Ab und zu tendiere ich inzwischen (manchmal auch humorvoll) dazu „Halt! STOP!“ zu sagen. Die bewusste Pause hilft mir, um Klarheit zu gewinnen, mich neu zu sortieren und aus dem Automatismus des „freundlich Lächeln und Winken“ auszusteigen.
Zum Abschluss noch drei weiterer Tipps, wie ich angefangen habe, Grenzen zu setzen:
Ich äußere ganz klar und ohne Umschweife meine Bedürfnisse. Wenn ich mich selbst erwische, dass ich wieder einmal herumdruckse, halte ich kurz inne und starte noch einmal neu mit dem, was ich eigentlich sagen wollte.
Ich spreche es an, wenn mich etwas stört. Inzwischen vergehen nicht mehr Tage oder gar Wochen bis ich mich traue. Manchmal sind es wenige Minuten bis ich mir ein Herz fasse und es anspreche.
Ich lasse Konjunktive (hätte, könnte, sollte) und Ausschweifungen wie vielleicht, eventuell, ein bisschen und Co. weg. Auch hier gilt: wenn ich mich selbst erwische, dass es doch in meinem Satz auftaucht: Einfach korrigieren und Klarheit in die Aussage bringen.
Also: Mach Dich groß. Mach Dich stark. Mach Dich frei.
P.S.: Welche Grenzen durftest Du schon setzen? Wie gelingt es Dir auch mal Nein zu sagen?
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