Mein letzter Beitrag ist jetzt schon ein paar Wochen her. Tatsächlich hatte ich ein bisschen unterschätzt wie viel Kraft und Energie mir der Juni und Juli – und letztlich auch der August abverlangen würde. Am 18. Juni startete meine Reha in Heiligendamm. Und obwohl ich lange auf den Tag gewartet und ihm freudig entgegengefiebert habe, hat mich das Thema vor Ort doch noch einmal neu aufgewühlt. Zwei Tage vor der Reha habe ich meinen Aufhebungsvertrag unterschrieben und damit meine Trennung von meinem bisherigen Arbeitgeber über die Bühne gebracht. Der Abschied war leise und obwohl ich wusste, dass es die richtige Entscheidung für mich ist, hat es mich doch traurig gestimmt und es schwang viel Enttäuschung mit.
Am nächsten Tag hieß es dann Sachen für fünf Wochen Reha-Aufenthalt packen. Und dann ging es auch schon los. Da Heiligendamm an der Ostsee liegt und mein Aufenthalt in die Sommerzeit fiel, habe ich es lange mit einer Art „Urlaub am Strand“ assoziiert. Doch auf dem Parkplatz an der Klinik angekommen, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich aus medizinischen Gründen hier bin und mich noch einmal mit den letzten Ereignissen beschäftigen „darf“. Es war ein bedrückendes und mulmiges Gefühl, das mich überkam.
Die Erstbegrüßung durch die Therapeutin war sehr nett und auch das psychologische Erstgespräch am darauffolgenden Tag verlief gut. Ich fühlte mich ernst genommen und verstanden. Die nächsten Tage brachten eine Menge Erkenntnisse ans Licht, die ich erst einmal verarbeiten, reflektieren und integrieren durfte. Ich brauchte Zeit, Rückzug, Kraft und Energie, um mich den Themen zu stellen.
Ich bekam immer wieder Bestätigung von den Therapeutinnen und aus meiner Therapiegruppe, dass ich schon einen guten Umgang mit der Situation gefunden habe. Mir wurde gespiegelt, wie weit ich mich bereits entwickelt habe. Das stärkte mich einerseits, andererseits war mir allerdings klar, dass dies nicht der alleinige Erfolg meines Reha-Aufenthalts war, sondern das (Zwischen-)Ergebnis vieler Jahre der Persönlichkeitsentwicklung und Selbstreflexion.
All diese Erfahrungen haben mir noch einmal gezeigt, wie eng persönliche Entwicklung mit unserer Wahrnehmung und Achtsamkeit verbunden ist. Und genau hier möchte ich ansetzen: Denn was ich in der Reha erlebt habe, bestätigt vieles von dem, was ich mir in den letzten Jahren durch meine Routinen und meine Ausbildung angeeignet habe.
Meine bisherigen Blog-Beiträge sind kleine Einblicke in meine Routinen und Methoden, die mir auf diesem Weg geholfen haben. Doch erst durch das Zusammenspiel dieser Routinen erlange ich die Klarheit und das Bewusstsein, was ich gerade brauche und kann davon situativ profitieren. Daher möchte ich dir nachfolgend das Zusammenspiel und ein paar psychologische Grundlagen etwas genauer erklären. Als Quelle dienten mir die Unterlagen meiner Fortbildung zur Systemischen Beraterin und Coach durch die BSG Bildungsinstitut für Soziales und Gesundheit GmbH.
Starten wir mir der Wahrnehmung. Das, was wir tagtäglich erleben, beeinflusst unser Denken, Fühlen und Handeln. Unsere Wahrnehmung ist dabei begrenzt. Das heißt wir nehmen z.B. aufgrund unserer Sinnesorgane nicht alle Umweltreize wahr. Das menschliche Auge kann beispielsweise nur einen Teil des Lichtspektrums wahrnehmen und unsere Nase riecht weniger als die empfindlichen Spürnasen von Hunden. Gleichzeitig nehmen wir unsere Umwelt nur selektiv wahr, da unser Gehirn gar nicht alle Informationen verarbeiten kann. Hier kommen persönliche Erfahrungen, Vorurteile und Vorlieben ins Spiel. Basierend auf den verfügbaren, vorgefilterten Informationen konstruiert unser Gehirn eine persönliche Repräsentation unserer subjektiven Eindrücke, die für unser Handeln relevant ist. Die Verarbeitung der Informationen benötigt Zeit – genauso wie das Ableiten von Reaktionen. Daher ist unsere Wahrnehmung darauf ausgerichtet, nützliche Aspekte für uns zugänglich zu machen, die für unser Handeln und unsere Interaktionen von Bedeutung sind. Außerdem ist die Wahrnehmung kontextabhängig. Ein vorangegangener Reiz beeinflusst den nachfolgenden. Organgensaft schmeckt zum Beispiel nach dem Zähneputzen ganz anders als wenn man ihn einfach so trinkt.
Wenn wir allein das berücksichtigen fällt auf, dass jeder durch seine subjektive Wahrnehmung eine andere Realität ableitet. Es gibt nicht die eine wahre objektive Realität.
Durch Aufmerksamkeit kann der Fokus auf die Verarbeitung eines Reizes gelenkt werden, wodurch jedoch andere Reize nicht wahrgenommen werden. Aufmerksamkeit hängt dabei eng mit kognitiver Kontrolle zusammen. Denn es ist ein kognitiver Prozess, unsere Informationsverarbeitung und unser Verhalten an unsere aktuellen Ziele anzupassen. Durch Achtsamkeitsübungen können wir unsere Aufmerksamkeit zusätzlich trainieren und so gezielt lenken und beeinflussen, wodurch wir unsere Wahrnehmung einer Situation bzw. unserer Umwelt beeinflussen können. Dadurch können wir Einfluss darauf nehmen, was für uns im Verborgenen – also unbewusst – bleibt und womit wir uns bewusst auseinandersetzen wollen. So schaffen wir es unser Bewusstsein zu schärfen.
Durch Achtsamkeitsübungen bin ich inzwischen in der Lage im Hier und Jetzt in mich hineinzuspüren. Ich habe dadurch meine Intuition zurückgewonnen, schaffe es im Moment präsent zu sein, den Fokus auf mein Körpergefühl zu lenken und meine Reaktion davon abhängig zu machen, wie sich die Situation für mich anfühlt.
Klarheit über meine Bedürfnisse gibt mir die Kraft, Grenzen zu setzen
Letztlich schaffe ich es dadurch inzwischen Grenzen zu setzen und für mich selbst einzustehen. Aber dafür benötigte ich initial innere Klarheit. Klarheit über meine Werte, meine Bedürfnisse und meine Ziele. Je klarer ich mir über meine Bedürfnisse bin, desto klarer kann ich sie gegenüber anderen formulieren. Je genauer ich meine Gefühle kenne und sie anderen beschreiben kann, desto eher stoße ich auf Verständnis und Einsicht bzw. Rücksicht. Wenn ich hingegen nicht in der Lage bin, klar über Worte zu kommunizieren, dann kommuniziere ich eher über meine Stimmlage/emotionale Ausbrüche, was oft mehr Interpretationsspielraum bietet und dadurch das Potenzial birgt, falsch verstanden zu werden. Wenn ich ruhig und klar sagen kann, wie es mir geht, was das Verhalten oder die Situation mit mir macht und was ich brauche (benötige), um mich besser zu fühlen, dann sind andere Menschen bereit, darauf einzugehen und mir entgegen zu kommen.
Mach Dich groß. Mach Dich stark. Mach Dich frei und trainiere Deine Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und schärfe so Dein Bewusstsein für Deine Bedürfnisse.
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